Rückblick
Pogromnachtgedenken 2024 in Rohrbach
Seit 10 Jahren erinnert Rohrbach in einer eigenen Veranstaltung am 9. November an die Novemberprogrome im Jahr 1938. An dem Gedenken beteiligten sich dieses Jahr 200 Menschen. Zum Bericht des Stadtteilvereins
Norbert Giovannini hielt das Haupreferat zum Thema „Gewalt und Entwertung im Kontext des Novemberpogroms 1938“. Eine überarbeitete Fassung können sie hier auf unserer Homepage nachlesen Rede zum 9. November 2024.
(Foto: Stadtteilverein Rohrbach)
Stolpersteinverlegung in Dossenheim
Am 6. Februar 2024 wurden in Dossenheim Stolpersteine verlegt. Es wurde an neun Dossenheimer "Euthanasie"-Opfer 1940 bis 1945 erinnert.
Über die Stolpersteinerlegung wurde im Gemeindeblatt und in der Rhein-Neckar-Zeitung berichtet. Presseberichte
Zum Video.Videodokumentation der Stolpersteinverlegung und Gedenkveranstaltung. Dossenheim, Februar 2024.
Holocaust-Gedenktag in Dossenheim
27. Januar 2024
Rede von Norbert Giovannini:
Liebe Dossenheimer und Dossenheimerinnen,
der 27. Januar ist Anlass für ein jährliches Gedenken.
Wir denken zurück an den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz an eben diesem 27. Januar 1945. Auschwitz steht bis auf den heutigen Tag als unvorstellbare Realität dessen, was Menschen an Destruktion, an tödlicher Vernichtung, an Massenverbrechen zu tun imstande sind. Und deshalb stellt dieses Gedenken jedes Jahr eine neue Herausforderung an uns dar: Wie war das möglich? Ist das vorbei? Wirkt es nach? Gibt es gesichertes „Nie wieder!“, oder steckt der Horror dieses Menschheitsverbrechens noch in den Köpfen, den Herzen, den Ansichten von Menschen, heute und hier. Und wie gehen wir damit um, wenn das sichtbar und überdeutlich wird?
Es ist ein gutes Zusammentreffen, dass wir hier in Dossenheim am 6. Februar 2024 Stolpersteine verlegen. Es sind neun Steine für neun Dossenheimer*innen. Sie wurden Opfer der Nazi-Euthanasie. Menschen, die geistige, psychische, körperliche Einschränkungen und Leiden hatten. Die Sorge, Zuwendung, Heilung brauchten. Menschen, die aber in für sie furchtbar gefährlichen Zeiten in die psychiatrische Universitätsklinik in Heidelberg gebracht wurden. Diagnose: Unheilbar, Schizophrenie, Epilepsie, Verwirrung, Blödheit. Seit 1940 eine tödliche Diagnose. Sie wurden überwiesen in die Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch. Von dort in die Tötungsanstalten, in unseren Regionen Hadamar und Grafeneck. Im Ganzen zwischen 200- und bis 300-tausend Menschen, die im Laufe des Geschehens zwangssterilisiert wurden, die in den Anstalten vergast wurden, die man hat verhungern lassen, die medizinischen Experimenten ausgesetzt wurden oder denen man absichtsvoll lebenswichtige Medikamente entzogen hat. Euthanasie, die „gute Tod“, war zu einem Mordgeschäft geworden, an dem sich ganze Schwadrone von Ärzten, Pflegern, Schreibtischtätern, Medizinprofessoren beteiligt haben.
Eines dieser Dossenheimer Opfer war Philipp Sauer. Ein harmloser Jugendlicher, ein bisschen naiv, ein bisschen leichtsinnig, eine kleine Vorstrafe, verwirrt und krank. Er ist dem Regime nicht entkommen, Philipp Sauer hat - als einziger aus Dossenheim die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 überlebt. Für fünf Monate. Dann ist er in Auschwitz an den Folgen von Haft und Deportation gestorben.
Was bedeutet das heute? Sind wir nicht längst weit weg von diesem Denken und Handeln, das geprägt war von Vorstellungen, man müsse „unwertes“ Leben „ausmerzen“, den „Volkskörper reinigen“, uns von „Ballastexistenzen“ befreien. Ein Denken, das in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden ist und offenbar großen Reiz ausübte auf Menschen, die sich um die “Veredelung“ bemühten, den „Volkskörper“ von „Schädlingen und Geschwüren“ befreien wollten. Wir wissen, wohin dieser furchtbare, schließlich völkische Sozialdarwinismus hingeführt hat. Wie fatal die Vorstellung ist, wir seien alle, außer dass wir ich und du sind, immer auch Teil eines imaginären Körpers, des Volkskörpers, den man gesund und rein halten muss. So wie die Vorstellung, dass man einer „Rasse“ angehöre, im schlimmsten Fall der jüdischen, der man nicht entkommen konnte, weil sie nicht religiös, sondern biologisch-rassistisch definiert war. Alles vorbei und gestern? Nein, ein österreichischer Identitärer faselt jüngst davon, dass wir sie alle hinausschmeißen müssen, die nicht zu uns gehören. Und ein thüringischer Rechtsradikaler meint, man müsse den Leuten nur ins Gesicht sehen um festzustellen, dass sie zu uns gehören oder eben nicht.
Ist heute, über 80 Jahre nach dem Geschehen, das unseren neun Dossenheimer*innen den Tod brachte, die Brandmauer noch intakt, gegen dieses völkische, radikale, Menschen vernichtende Denken. Sind wir immun, wenn da einer so nebenbei sagt, die Inklusion sei doch nur ein ideologisches Projekt, was den Gesunden und Guten und Leistungsfähigen schadet, und ein anderer unwidersprochen erzählt, man müsse, wenn es sein muss, Millionen von Menschen „remigrieren“, weil sie nicht in unsere völkische Identität hineinpassen. Und wenn eine Partei - die sich anschickt in diesem Jahr sich festzubeißen in Landesregierungen und Kommunen - sich das zu Eigen macht, dubiose Zirkel zu Privatgesprächen umdeutet und den selbst erfundenen, den angeblichen „Bevölkerungsaustausch“ nun in umgekehrter Richtung praktizieren will. Der hunderttausendfache Protest dagegen auf den Straßen antwortet ihnen. Er machte deutlich: Es gibt in Deutschland, bei uns, keine Mehrheit für dieses völkische und Nazi-Denken und Handeln. Die Freiheit, die Menschlichkeit, die Werte von Humanität, Akzeptanz, Menschenwürde und Solidarität lassen wir uns nicht nehmen. Nie wieder! Deshalb denken wir zurück an Auschwitz.
Uns allen zur Warnung: Es gibt, heute wie damals, ja, leider, immer tausend Gründe, nichts zu machen, alles hinzunehmen und alles irgendwie passiv hinzunehmen. Eigennutz, Angst, halbes Einverständnis, der Reiz, mitzumachen, das mögen die Motive sein. Wir sehen an Auschwitz, wohin die Fahrt dann gehen kann.
Deshalb gedenken wir. Gedenken ist ein Zurückschauen. Was nehmen wir mit aus unserem Blick zurück. Wie schauen wir jetzt auf uns und auf heute. Nie wieder ist jetzt! Und wir schauen nach vorne. Nie wieder muss nie wieder bleiben.
Die Dossenheimer Stolpersteine für die Euthanasieopfer in unserem Ort werden am 6. Februar verlegt. Sie sind als Mahnung und Erinnerung in die Gehwege gesetzt. Tragen wir alle dazu bei, dass unser Land friedlich, solidarisch, menschlich und frei bleibt. Dass nicht Hass, Feindschaft und Vernichtungswillen unsere Gesellschaft zerstören kann. Nie wieder!
siehe auch Artikel in der Rhein-Neckar-Zeitung
Gedenken an Frieda und Mathias Müller
29. Oktober 2021
„Meine Großeltern waren keine Helden, sie halfen, wo es zu helfen galt.“
Lesung in der Versöhnungskirche Ziegelhausen
70 Zuhörer wollten sich über die Rettung der jüdischen Familie Herzberg durch Frieda und Mathias Müller vom Februar/März 1945 informieren, insbesondere die Beweggründe der Retter kennenlernen und zu hören, welche Eigenschaften das israelische Yad Vashem einem Retter zumisst, der als „Gerechter unter den Völkern“ gewürdigt werden soll. Weiterlesen ...
Bericht von Klaus Fanz in
www.neckarundsteinbach.de/zthemen/ziegelhaeuser-themen.html
22. Oktober 2021
Gedenken an Gurs-Deportation 1940 in Dossenheim
Am 22. Oktober 2021 wurde in Dossenheim der 1940 in das Lager Gurs deportierten jüdischen Einwohner von Baden, der Pfalz und des Saarlands gedacht. Verbunden wurde das Gedenken mit einem Rundgang zu den Stellen, an denen im vergangenen Jahr Stolpersteine gelegt wurden für Deportierte aus Dossenheim.
Bericht in den Dossenheimer Gemeindenachrichten mit dem Wortlaut von Norberts Rede.
18. März 2021
Dialog mit Nachfahren jüdischer Überlebender des Holocaust aus Heidelberg
Veranstaltung der Heidelberger Lupe im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus
Nachkommen von Holocaust-Überlebenden sprachen auf Einladung der „Heidelberger Lupe“ über Ihre Geschichte – Familienmitglieder fanden digital wieder zusammen Von Helen Moayer Toroghy
Damit hatte niemand gerechnet – man bekam Gänsehaut, als sich vergangenen Donnerstag plötzlich die Nachkommen der ostjüdischen Familie Sipper online wiederfanden. Der Verein für historische Forschung und Geschichtsvermittlung „Heidelberger Lupe“ veranstaltete einen digitalen Dialog mit Nachfahren jüdischer Überlebender des Holocausts aus Heidelberg. Anlass hierfür waren die „Internationalen Wochen gegen Rassismus“. Die Vorsitzende Verena Meier eröffnete die Veranstaltung und Lokalhistoriker Norbert Giovannini berichtete über die Geschichte der Familie Sipper in Heidelberg.
Die Sippers sind eine typische ostjüdische Familie, die im ausgehenden 19. Jahrhundert aus Osteuropa floh. Grund dafür waren Judenhass, Verfolgung und Pogrome. Die Sippers zogen zwischen 1905 und 1911 nach Heidelberg und waren als Second-Hand-Möbelhändler tätig. In Zeiten von Krieg, Wirtschaftskrise und Inflation waren solche Geschäfte eine ökonomische Notwendigkeit und für viele Stadtbewohner
ein Segen. Auch wenn die Situation osteuropäischer Jüdinnen und Juden oft von Missbilligung begleitet war, könne man davon ausgehen, dass die Sippers in Heidelberg respektiert und anerkannt gewesen seien, so Giovannini.
Das Ehepaar Hermann und Fanny Sipper hatte ein Möbelgeschäft in der Weststadt. Ihre drei Kinder Israel, Klara und Selma gingen in Heidelberg zur Schule und Israel studierte an der Universität Jura. Später lebte Klara Sipper bis zu ihrer Flucht in der Ladenburger Straße 36. Sie ist die Mutter von Shoshi Shilo und die Großmutter von Eldad Shilo, die beide aus Israel zugeschaltet waren.
„Sie lebten unter Deutschen, sahen sich selbst als Deutsche und kämpften auch im Ersten Weltkrieg. Das Einzige, was sie unterschied, war ihr Glaube“, sagte Eldad Shilo, Enkel der Holocaust-Überlebenden Klara Sipper. Er betonte, dass ihre Geschichte kein Einzelfall sei, sondern dass es vielen jüdischen Familien so ergangen sei. „Aus heiterem Himmel wurden sie vom Ausmaß des Antisemitismus überrollt“, sagte Eldad Shilo. Er verdeutlichte mit Fotos der Stadt Heidelberg von 1932 und 1936, wie schnell die Stimmung kippte. Während das erste Foto den damaligen Bismarckplatz an einem gewöhnlichen Sommertag zeigte, sah man auf dem zweiten Foto den Universitätsplatz beim 550-jährigen Jubiläum der Universität: Überall sind Hakenkreuze zu sehen, man sieht, wie die versammelte Masse den Hitlergruß ausführt. Innerhalb der jüdischen Gemeinschaft habe niemand geahnt, wohin der Antisemitismus führen würde: „Deshalb muss man auch heute wachsam für antisemitische Warnzeichen sein“, betonte Shildo.
„Meine Mutter spürte früh, dass es in Heidelberg unsicher wurde, und ist nach Straßburg gegangen“, sagte Shoshi Shilo. Nachdem Shoshis Großvater zwischenzeitlich festgenommen worden war, flohen auch Klaras Eltern mit Hilfe des Heidelberger Pfarrers Herrmann Maas nach Frankreich. Indem sie eine Scheinehe eingingen, gelang Shoshis Mutter und ihrer Tante Selma letztlich die Flucht in das damalige Palästina. Von dort aus konnten sie auch Israel Sipper nach Palästina holen. Doch auch nach 1945 litt die Familie noch unter der Diskriminierung durch deutsche Behörden. Man unterstellte ihnen, zu Unrecht Entschädigungen erhalten zu haben.
Nachdem Shoshi und Eldad Shilo über die Geschehnisse gesprochen hatten, meldeten sich plötzlich einige Teilnehmer aus dem Plenum zu Wort. Es waren die Nachkommen von Klaras Cousin, dessen Familie ebenfalls in Heidelberg lebte.
Zu Beginn der Veranstaltung hatte Giovannini von einem zweiten Familienstrang berichtet: dem Ehepaar Jakob und Salla Sipper. Die jüngeren Kinder dieser Familie, Hermann Sipper und seine Schwester Emma Sipper, gelangten 1939 mit einem Kindertransport nach England. Von dort waren jetzt die Nachkommen von Klaras Cousin zugeschaltet. Sie zeigten alte Familien-Fotografien und tauschten sich über die Geschichten ihrer Eltern und deren Erinnerungen aus.
„Mir fehlen die Worte, dass wir hier heute Zeuge dieser Familienvereinigung sein durften“, sagte Meier. Meier hatte die Sippers aus Großbritannien angeschrieben und zur Veranstaltung eingeladen. Dass so viele kommen und sich sogar in der Veranstaltung zu Wort melden würden, damit habe sie nicht gerechnet.
RNZ 22.03.2021
9. November 2020
Der Stadtschüler*innenrat von Wiesbaden hat ein Video zum Gedenken an das Novemberpogrom am 9./10.11.1938 erstellt. Damals wurde auch die Wiesbadener Synagoge zerstört. Das Video ist eine gegenwartsbezogene Mahnung, sich dem Weiterwirken von Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie entschieden entgegenzustellen. Eine klare Ansage der drei Wiesbadener Stadtschulsprecher*innen. Kamera: Eva Giovannini.
Januar 2020
Verleihung des Obermayer-Award an Norbert Giovannini
Anlässlich der Verleihung des Obermayer Award im Abgeordnetenhaus Berlin am 27.01.2020 wurde im SWR-Fernsehen ein Porträt von Norbert Giovannini gesendet:
Norberts Rede in Berlin kann mit dem folgenden Link angeschaut und angehört werden:
Obermayer-Award:
"In den vier Büchern und zahlreichen Artikeln, die Norbert Giovannini im Laufe seiner 30-jährigen Tätigkeit geschrieben hat, widmet er sich unermüdlich der Erforschung, Rekonstruktion und öffentlichen Vermittlung der jüdischen Vergangenheit Heidelberg. Er hat die Geschichte des jüdischen Lebens in der Stadt dokumentiert und von 1996 bis 2016 Besuche von ehemaligen jüdischen Bürgern und ihren Nachfahren mit gestaltet. Darüber hinaus hat er Ausstellungen im Heidelberger Rathaus organisiert und an der Erstellung von Gedenktafeln am Standort der alten Synagoge mitgewirkt, auf denen die Namen Hunderter Heidelberger Juden eingraviert sind, die in Konzentrations- und Todeslager deportiert wurden. Sein neuestes Buch Stille Helfer, das im August erschienen ist, handelt von den vielen Heidelberger Bürgern, die jüdischen Mitbürgern während der NS-Zeit aktiv und nachhaltig geholfen haben."
Würdigung der Auszeichnung auf Facebook durch den Kurpfälzischen Verlag.
Buchpräsentation "Stille Helfer"
Am 1. September 2019 fand die erste Buchpräsentation von "Stille Helfer" in der jüdischen Gemeinde Heidelberg statt. Pfarrer Hermann Maas, die Ärztin Marie Clauss, die Hausfrau Ottilie Winterroll, die Wäscherin Frieda Müller und weitere HelferInnen beherbergten und halfen auf unterschiedliche Weise den von den Nazis verfolgten und gefährdeten Personen. Norbert Giovannini, Ingrid Moraw, Reinhard Riese und Claudia Rink gaben ihnen eine Stimme und holten die Erinnerung an sie eindrucksvoll in die Gegenwart, in den Gemeindesaal mit über 200 gebannt zuhörenden Personen. Die Pianistin Ju-Hee Oh umrahmte die Veranstaltung mit der großartigen Musik des jüdischen Komponisten Robert Kahn. Norbert Giovannini stellte den Bezug zum Heute her: "Jeder kann nach seinen Möglichkeiten einen Beitrag leisten. Jeder kann sich vorbehaltlos für Verfolgte und Schutzbedürftige engagieren. Wir müssen es nur wollen, und dann müssen wir's auch tun."
Siehe auch Presseberichte
Mai 2019
Stolpersteine-Rundgang in der Weststadt
Eine Veranstaltung der Initiative Heidelberg für Kunst, Kultur und Genuss IHKKG
November 2018
Stadtrundgang zum 9. November 1938
mit Norbert Giovannini
Als die Synagogen brannten
September 2018
Als sie noch zu Deutschland gehörten ... und danach
Erzählungen jüdischer Lebensläufe und Familiengeschichten aus der Region und dem Exil.
Synagoge Heidelberg
Vortrag von Norbert Giovannini
Siehe auch Presse